Ein Wald-Kunstprojekt des Bildhauers Harald Kienle mit der Kunst- und Gestaltungstherapeutin M. Paul und PatientInnen einer Fachklinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik. Photographische Begleitung H. E. Barfus
Der umgehauene, sich nach oben verjüngende Baum, lag am Waldhang wie ein gestürzter gotischer Strebepfeiler, aber seine mächtige Basis wird fest verwurzelt bleiben.
Der 26 Meter Baum wurde in 56 Segmente zerschnitten, durch-nummeriert, ausgehöhlt – wie sagt Faust: „will sehen, was die Welt im Innersten zusammenhält“ – und wieder in seiner alten Fallrichtung aufgestellt. „Beine“ aus Birkenholz stützen die einzelnen Segmente.
Der gefällte Baum verwandelt sich in ein Kunst – Werk. Durch das Aushöhlen des Baumstammes wird versucht Elementar – Materielles zu überwinden und eine Wandlung vom Materiellen zum Immateriellen vollzogen. Der Baum strebt nach oben zum Licht. Das Gefällt – Werden bringt Dunkelheit und Tod. Das Innen öffnet sich und wird zum Außen. Der Baum liegt da, als würde er sagen:“ sieh her wie ich in mich hineinsehen kann, ich bin zersägt und ausgelaufen, doch bin ich neu erstanden, geboren aus einem Schmerzensgrund.“ Durch das Aushöhlen beginnt eine Metamorphose des Baumes – er schaut nicht nur ins Licht, sondern sein Inneres gleicht einer leeren Schale, die offen ist zu empfangen. Der Bildhauer Eduardo Chillida sagt zur Entstehung der Form: „Sie ergibt sich von selbst aus dem Bedürfnis des Raumes, der sich sein Gehäuse baut, wie ein Tier, das seine Schale aussondert. Und wie das Tier bin auch ich ein Architekt der Leere.“
Der Baum nimmt das Licht auf, konzentriert und bündelt es. Der Stamm ein Licht- und Geistfänger.
Aus kunsttherapeutischer Sicht heißt Holz bearbeiten am Widerstand arbeiten und am Widerstand entfaltet sich Wahrnehmungs- und Unterscheidungsfähigkeit. Grenzen werden erlebt und Entscheidungen müssen getroffen werden. Aggression bedarf schöpferischer Handhabung, um „das Eigene“ zu gestalten, was im Unterschied zum Fremden erfahren wird – Persönlichkeit strukturiert sich und gewinnt Identität.
Im Dialog mit dem Material entwickelt sich Arbeitsprozess und individueller Arbeitsrhythmus, der in den Atemzug des Daseins, ins Hier und Jetzt holt.
Das Aushöhlen des Baumstammes schafft Raum, Sicht und Durchblick, dadurch wird Schweres im wahrsten Sinn des Wortes, leichter tragbar – die Anstrengung bringt Erfolg.
Text: Marlene und H.E. Barfus, genannt Heinrich Paul, Photographie
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