Brâncuşis „schräge“ Säule von Târgu–Jiu.
Als wir am Ende einer Rumänienrundfahrt und nach einer langen Tagesetappe im September 2004 in Târgu–Jiu ankamen, um Brâncuşis Epoche machendes Skulpturen-Ensembles zu sehen, war unser erster Eindruck enttäuschend. – Was fanden wir vor……?
Bagger wühlten die Erde auf. Die „Endlose Säule“ stand auf einer Baustellenwüste und um sie herum wurden kreisförmig Bäume gepflanzt .Die zwölf Stühle, die um den Tisch des Schweigens stehen sollten, wurden in einer kleinen Bauhütte neben der „Pforte des Kusses“, gereinigt. Der Travertin der Pforte strahlte bereits in neuer, gereinigter Oberfläche. Rumäniens wohl wichtigstes Monument bekam ein Face-Lifting.
Sechs Jahre zog sich die Arbeit schon hin. Doch nicht alle Sünden der Vergangenheit werden sich reparieren lassen, so dass die „Endlose Säule“ weiterhin schief stehen wird. In den 50er Jahren versuchte ein kommunistischer Provinzfürst, die aus seiner Sicht westlich dekadente Säule, mit Baggern und Seilen niederzuwerfen, so schreibt die deutschsprachige Hermanstädter Zeitung im September 2004[1], aber es ist ihm nicht gelungen, denn das „Rückrat“ Brâncuşis war stärker. Seither beträgt jedoch die Abweichung vom Lot an der Spitze der Säule etwa einen halben Meter. Zuerst wollten die Restauratoren das Innere der Säule austauschen um die Neigung wieder ins Lot zu bringen, was jedoch mit enormen Kosten und Problemen verbunden gewesen wäre, so dass man die „schräge“ Säule als Teil ihrer Geschichte akzeptierte. Restaurierung ist eben auch Vergangenheitsbewältigung.
Die Weltbank gab dem rumänischen Staat für die Restaurierung des Ensembles einen Kredit, dadurch konnte die vordem verrostete Himmelsleiter des rumänischen Bildhauers wieder in goldenem Glanz erstrahlen. Sie entwickelt eine Leichtigkeit vor blauem Himmel und weißen Wolken. Die Perlen, wie Brâncuşi sie bezeichnete, 29 Tonnen Gusseisen, lösen sich durch den emporsteigenden, pulsierenden Rhythmus gleichsam auf, eine fragile und doch stabile Verbindung zwischen Erde und Himmel, Bewegung und Ruhe, Zeitlichkeit und Unendlichkeit.
Bei Brâncuşi geht es nicht allein um Form und Größe, denn die endlose Säule beträgt „nur“ 30 Meter, sondern vielmehr um die in ihr verkörperte Idee. Er selbst hatte die Vision, die Säule als Appartement- und Bürohaus zu bauen. Sie sollte über hundertzwanzig Meter hoch werden, Perlen seriell, blank poliert und obenauf einer seiner Vogelskulpturen. Er wollte eine bewohnbare Skulptur schaffen, denn Architektur ist Skulptur wie der Bildhauer formulierte.
Der edle Travertin der mächtigen „Pforte des Kusses“, dessen poröse Strukturen und Farbigkeit, von den im Stein gelösten Mineralstoffen stammen, strahlt in neuem Glanz. Der Travertin zeigt seine geöffneten Poren und lockert die Oberfläche der Säulen und das auf ihnen liegende Architrav. Ezra Pound hat in seinem Essay über Brâncuşi geschrieben dass „die Schönheit der Bildhauerei von ihrem Werkstoff nicht zu trennen ist, dass sie in dem Werkstoff innewohnt.“[2]
Es ist ein Triumphbogen der Menschlichkeit und nicht von imperialer Macht. Die Anlage ist im Auftrag der Nationalen Liga der Frauen von Gorj und ihrer Präsidentin 1937/38 ideell und finanziell unterstützt worden und sollte an den ersten Weltkrieg erinnern, denn hier hatten 1916 rumänische Truppen die deutsche Offensive zurückgeworfen. Die „Pforte des Kusses“ unterscheidet sich von dem 1937 zeitgleich stattfindenden Wettbewerb monströser Architektur der Diktaturen auf der Pariser Weltausstellung. Das Portal fasziniert durch innere Magie. Das ganze Volumen dringt von Innen nach Außen, ohne jedoch aufgeblasen und monströs zu wirken. Trotz der Größe wirkt sie schlicht, maßvoll, wobei ihre Oberfläche von zarten und kräftigen, eingeritzten, plastischen Symbolen strukturiert wird.
Die „Straße der Helden“: vom Tisch des Schweigens zur Pforte des Kusses und weiter zur Endlosen Säule führt mitten durch die Stadt. Die Gedenk-Achse führt vom Fluss leicht ansteigend zum ehemaligen Kasernenplatz auf dem die Säule steht.
Vom Fußweg auf dem Damm geht der Blick über den Tisch zur Pforte hin. Zum Glück wurde der geplante Kraftwerksbau am Ufer des Flusses nicht verwirklicht. Der Weg vom Tisch zur Pforte wird neu angelegt, bei unserm Besuch wurde der „Tisch des Schweigens“ gerade restauriert. Die Abbildung stammt von einer Postkrte, die ich in den 70 er Jahren erwarb.
Am Fuße der Karpatenausläufer und unweit von der Stadt Târgu–Jiu, liegt Hobiţa am Ufer des Flusses Bistriţa, der Geburtsort Brâncuşis.
In rumänischen Freilandmuseen und in der heute noch praktizierten, traditionellen Holzbauweise ist eindrucksvoll nachvollziehbar wie stark Brâncuşi die rumänische Volkskunst verinnerlicht hatte. Brâncuşi konnte die Symbole der Volkskunst mittels seiner Erfindungskraft verallgemeinern und zur Universalität führen.
Es ist beindruckend wie durch die Ost/West Ausrichtung des Ensembles das Licht mit den architektonischen Skulpturen spielt. Im Abendlicht erstrahlt die „Endlose Säule“ in vollem Glanz wie ein gezackter, leuchtender Stab. Kurz nach Sonnenaufgang wird die „Pforte des Kusses“ in rötliches Licht getaucht und etwas später gewinnt die Oberfläche des Travertins und die Form der Pforte durch das Sonnenlicht ihre schlichte Klarheit.
Brâncuşis Großskulpturen glänzen und leuchten gleich seinen „Kleinen“, die er selbst so mühe- und liebevoll polierte. Man denkt unwillkürlich an jene Ikonen in orthodoxen Kirchen, die mit einem Metallüberfang aus Silberblech versehen wurden um das Mysterium zu verhüllen und nur Hände und Gesicht freiließen. Licht spielt sowohl bei dem Bildhauer als auch bei dem Photographen Brâncuşi eine herausragende Rolle. Licht und Material gehen eine Einheit ein. Hier ist mir nachvollziehbar, warum Dan Flavin seine erste Neonröhren-Plastik Brâncuşi widmete.
Es wird die Geschichte erzählt, dass der Bürgermeister mit einer stärkeren Zugmaschine in einem zweiten Versuch die Säule stürzen wollte. Die Bauarbeiter konnten ihn jedoch überzeugen, dass wohl ein Fluch auf demjenigen lasten werde, der die Säule abreißen lässt, zum Glück muss der kommunistische Bürgermeister abergläubisch gewesen sein, sonst würde sie heute nicht mehr stehen, die „Schräge Säule“ von Târgu–Jiu.
Text und Photo H.E.Barfus, genannt Heinrich Paul
[1] Ulrich Mendelin. Hermannstädter Zeitung Nr. 1896/24 September 2004.
[2] Eva Hesse (Hrg.): Ezra Pound. Über Zeitgenossen. Zürich 1959, S. 67.