Burri Alberto

Cretto di Gibellina

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Denkmal von Alberto Burri

Im Südwesten Siziliens, 120 km von Palermo entfernt, liegt das Gebiet um den Oberlauf des Flusses Belice, in dem am 15. Januar 1968 ein schweres Erdebeben Hunderte von Toten und zerstörte Ortschaften zurücklies.
Die Bewohner von Gibellina  erfuhren in den Medien große Anteilnahme, weil sie gegen Entmutigung und Abwanderung kämpften. Der neu errichtete Ort Gibellina Nuova regte Künstler an, eine Vielzahl von großformatigen Kunstwerken zu stiften. Der Ort mit seinen 5000 Einwohnern wurde mit 50 Kunstwerken, im Stil der 70er Jahre, überhäuft. Als wir 2001 den Ort besuchten, konnten wir am Stadtrand oder in Hinterhöfen „abgestellte“ und vernachlässigte Werke begutachten. Der Architekturstil in der weitläufigen, außerordentlich planmäßig und rational errichteten Stadt wirkt in dieser Gegend ebenso befremdend wie die Kunstwerke.

Die Ruinen des ehemals beschaulichen, alten Bergdorfes Gibellina liegen ungefähr 15 Kilometer von der neuen Ortschaft entfernt. Die Reste von Ruinen, bilden einen eigenartigen Kontrast zur idyllischen Landschaft. Verstärkt wird dies durch ein riesiges Mahnmal des Malers und Bildhauers Alberto Burri. Er gestaltete weite Teile der Ruinen aus der ehemaligen historischen Mitte des Ortes zu einem Denkmal von ca. 300 x 400 Metern um.

1985 lies Burri, nachdem die Katastrophe 15 Jahre zurück lag,  über einen Teil der zerstörten Häuser und Straßen riesige Vierecke aus Beton gießen, weißen Särgen gleich, die auf dem Hügel des Gedenkens stehen. Es ist beklemmend und surreal entlang der mannshohen Betonwändedurch durch die Gassen zu gehen, immer mit dem Ausblick in die Weinberge. Ein Blick den früher die Bewohner hatten. Die weiß angemalten Wände strahlen höchst ästhetisch in ihren wellig zerknitterten Formen mit noch sichtbaren Steinen des Betongusses. Durch herab laufendes Wasser beginnt sich der Beton zu verfärben, außerdem wachsen kleine Büsche aus dem Beton. Die Deckel der Betonklötze sind glatt, vorsichtig geht man auf ihnen wie auf abschüssigen Dächern. Im Sommer dienen die Ruinen des Ortes und ein Teil der Betonkulisse für Theaterfestspiele.

Der Wiederaufbau der zerstörten Siedlungen im Südwesten Siziliens geriet damals zu einem Skandal allerersten Ranges. Bis in die späten 70er Jahre geschah fast nichts, obwohl aus Rom erhebliche Geldmittel flossen. Ein Grossteil des Geldes verschwand in dunklen Kanälen. Manche wieder aufgebaute Häuser, wurden mit solch schlechter Qualität errichtet, dass sie, wie zum Beispiel die Kirche von Gibellina 1994, wieder einstürzten. Obwohl heute vielfach die Ortschaften wiederhergestellt sind, sahen wir bei unserm Besuch noch immer kaputte Häuser. Diese Atmosphäre begleitete uns, als wir am oberen Rand des Denkmals standen und über die Weinberge in die weite Landschaft blickten – und unter unseren Füßen das einbetonierte Arkadien. Eine beklemmende Stille, eine widersprüchliche Atmosphäre, Tod und blühendes Leben lagen sinnbildlich vor Augen.

Unter dem Beton liegen Geschichte und Kultur – Gibellina stand auf antiker Stätte. Das zubetonieren lässt die Wunde weiterhin sichtbar. Eine riesige Narbe überzieht die Landschaft. In den 60/70er Jahren des letzten Jahrhunderts gab es eine vehemente Kritik am „brutalen“ Betonstil der Architektur und dem Bestreben urbanen Raum mit Beton- und Teerdecken zu überziehen. Gewollt oder Ungewollt wird das Andenken an die Zerstörung durch eine Naturgewalt auch zum Mahnmal gegen ungezügelte menschliche Eingriffe in die Natur, welche als weiße Narbe von weiten her sichtbar ist. Burri benutzt die Landschaft wie seine Materialbilder und arbeitete das Mahnmal wie „fremdes“ Material ein.
Alberto Burri am 12.3.1915 in Città die Castello (Mittelitalien) geboren, starb 1995 in Nizza. Er schuf (nach einem Medizinstudium und amerikanischer Kriegsgefangenschaft) Skulpturen und collagenartige Materialbilder, in die er Metall, Plastik, Holz, Lumpen und anderes Material einarbeitete. Die sog. „Sacchi“, Sackbilder, erregten in den 50er Jahren so großes Aufsehen, dass es sogar eine Debatte im römischen Parlament darüber gab. Zur Materialkunst gelangten neben Burri in den 50er Jahren auch Künstler wie Eduardo Paolozzi und Antoni Tapiès. Im Sinne eines neuen Realismus wird von ihnen das Material einer Gestaltung nicht mehr als Bildsujet begriffen, sondern soll sinnbildlich für sich selbst sprechen.

Text und Photo H. E. Barfus, genannt Heinrich Paul