Malen ist Fühlen

„Malen ist für mich ein anderes Wort für Fühlen“

Dieser Ausspruch von John Constable (1776 – 1837) entspricht sinngemäß den Äußerungen von KlientInnen der Gestaltungstherapie “Beim Malen komme ich mir näher und spüre mich besser“. Durch die Auseinandersetzung mit dem Material sei es Farben oder Ton findet sinnliche Begegnung mit sich selbst statt.  Die Hände begegnen dem Material in seiner Stofflichkeit, ergreifen es – im Ergreifen steckt Begreifen. Begreifen und Erfassen der Wirklichkeit. C.G. Jung sagt dazu: durch das Material „kommt in die bloße Phantasie ein Moment der Wirklichkeit hinein, wodurch der Phantasie ein grösseres Gewicht, eben grössere Wirkung verliehen ist“ [1]

Gestaltung aus der Kunsttherapie

Die Ordnung, die bei der Formgewinnung des Bildes entsteht, spiegelt sich im Inneren und gibt Klarheit und Orientierung. Bildelemente: „Formen, Figuren, Farben“ und die Grenzen des Blattes beginnen miteinander zu kommunizieren – Farbkomposition und Formenspiel strukturieren sich zu einer Bildgestalt. Johannes Itten[2] formuliert es folgendermaßen: „Das Finden von subjektiven Formen und subjektiven Farben heißt sich selber finden.“

Die Gestaltungstherapie gehört zu den Kunsttherapien. Sie ist Psychotherapie mit bildnerischen Mitteln. Ein Grundgedanke der Gestaltungstherapie besagt, dass krank macht, was nicht ausgedrückt werden kann, denn innere Bewegung drängt nach außen, in das Sichtbare.

Nicht mehr das Sichtbare wiedergeben, sondern sichtbar machen, sagt Paul Klee (schöpferische Konfession, 1920). Durch das Bild, die Plastik wird Erleben sichtbar. Der Mensch tritt mit seiner inneren Wirklichkeit aus der Isolation. Er wird zum Handelnden in der Welt.

Bestimmte Gefühle, Erlebnisse oder Erfahrungen können im Bildhaften gebannt werden – das Bild ermöglicht Distanzierung. Sie können aber auch eine Vertiefung erfahren und über Konkretisierung auf dem Papier oder im Geformten greifbar, begreifbar werden. „Zuerst kommt die Empfindung, die seelische Erschütterung, danach erst das Verstehen“, so empfand es Paul Gauguin.

Das Arbeiten mit dem Material wie Ton, Papier, Wasser, Farbe, Kreide, Stift, Pinsel spricht den Menschen auf psychischer, sinnlicher und intellektueller Ebene an. Dabei geht es weder um künstlerische Fähigkeiten, noch um wertende Kategorien wie „schön“ oder „hässlich“, sondern allein um den individuellen Ausdruck, denn ein wesentlicher Aspekt der kreativen Handlung mit dem Material ist die dahinter stehende Sinnorientierung. Das Gestalten dient nicht der Herstellung eines Gebrauchsgegenstandes, ist nicht zweckorientiert. Das Bild, die Plastik genügt sich in ihrem Sein. Dadurch findet eine Gegenbewegung zu der in unserer Zeit gewohnten Produktionshaltung statt.

Das Gestaltete wird zum Mittel und Ausdruck von Krisenbewältigung, Konfliktbearbeitung, Selbstfindung und Weiterentwicklung.

Der Maler Jackson Pollock behauptet: „Wenn ich in meinem Bild bin, bin ich mir nicht bewußt, was ich tue. Erst nach einer Periode des Vertrautwerdens sehe ich, was ich gemacht habe.“[3] Betrachtet der Gestalter sein entstandenes Werk aus verschiedenen „Blick-Winkeln“, können neue Sichtweisen entstehen und sich dadurch überraschende Wendungen und Lösungen ergeben. Lösungen, die vorher nicht denkbar waren.

Kreativ werden heißt, sich dem Lebensquell nähern, der niemals erkrankt, der aber Wesentliches zum Gesundungsprozess beitragen kann. Nebenbei bemerkt hat das Gestalten stets Befreiendes, Lösendes und es kann Freude und Spaß machen.

( Artikel aus der Engelthaler Rundschau, November 2001)


[1] Verena Kast: Kreativität in der Psychologie von C.G. Jung. Diss. Philosophische Fakultät Zürich. Zürich 1974, S.56

[2] Johannes Itten (1888 -1967) war ein Schweizer Maler, Kunsttheoretiker und Kunstpädagoge.

[3] Kammerlohr, „Epochen der Kunst“, Band 5; Oldenbourg Verlag 1995