Bild und Rahmen

Bilder leben eingehegt von ihrem Rahmen, reflektiert José Ortega y Gasset in seinem Essay „Meditation über den Rahmen“, er sieht im Rahmen eine „Insel der Kunst“ und „anstatt den Blick anzuziehen, begnügt der Rahmen sich damit, ihn zu sammeln und sogleich auf das Bild zu lenken.“ [2]

Der Rahmen differenziert das Abgebildete von den visuellen Erscheinungen der Wirklichkeit, er isoliert es und löst es aus den optischen Gegebenheiten heraus, die wir im Alltag als Fülle wechselnder Eindrücke erleben.

„Ein Bild oder ein Kunstwerk“, so Ortega y Gasset, „ist immer eine imaginäre Insel, die von der Wirklichkeit um brandet ist. Der Rahmen wird benötigt für die gezielte Wahrnehmung der realen Umgebung und derjenigen des Bildes, von Wirklichkeit und Illusion“. Der ästhetische Gegenstand dieser Insel bedarf einer Abgrenzung gegenüber dem Leben: „ein Isolator ist nötig; dieser Isolator ist der Rahmen.“[3]

Das weiße Blatt, das der/die Maler/in sich nimmt, wird zu einer Insel, auf die er/sie sein inneres Erleben projizieren kann. Dabei definiert der Rahmen das in ihm Dargestellte als etwas Zusammengehörendes. Was in der Realität unter Umständen als zufällig und durcheinander erscheint, bekommt durch den Rahmen eine innere Ordnung.

Die Formung des Vorstellungsbildes entsteht im Zwischenbereich zwischen innerer und äußerer Welt, und das Medium, das der Gestaltung Realität verleiht, ist das Material. Die „ästhetische Illusion“ schützt den Gestalter. Scham- und Schuldgefühle, die auftreten können, wenn der Mensch seine Fantasien erzählt, treten zurück, wenn er sich gestalterisch mit ihnen beschäftigt. Stattdessen stellt sich ein Gefühl ein, für die Fantasien nicht verantwortlich zu sein.[4] Diese Insel impliziert dem/der Gestalter/in die Sicherheit, dass das, was vielleicht ansonsten als „Unmöglich“ definiert wird, erlaubt ist.Die Gestaltung ist in diesem Sinne ein Abgegrenztes in einem eingegrenzten Raum.

„Um zwei Gegenstände gegeneinander zu isolieren, bedarf es eines dritten, der weder der eine noch der andere ist (…).“[5] Der Rahmen ist nicht der Wand zugehörig, aber auch nicht Teil der verzauberten Oberfläche des Bildes, er „wirkt wie ein Sprungbrett, das unsere Aufmerksamkeit in die Legendendimension der ästhetischen Insel schnellt. Man erinnere sich an die Etymologie von Insel = insula. Der Stamm sul bezeichnet die Idee des Hüpfens, Springens. So ist in-sula das Stück Land, der Fels, der ins Meer gesprungen ist.“[6]

Fenster und Rahmen ähneln sich: „bemalte Leinwände sind Löcher ins Ideale, durchgebrochen durch die stumme Realität der Mauer, kleine Ausluge ins Unwahrscheinliche, in das wir hineinschauen durch das hilfreiche Fenster des Rahmens.“[7]

Für manche Menschen reicht jedoch der „natürliche“ Rahmen des Blatt Papiers nicht aus, um den Mut aufzubringen, durch das Fenster in ihr Inneres zu sehen. Es braucht noch einen Rahmen auf dem Blatt Papier, den sie selber schaffen und selbst bestimmen. Selbstbestimmung und Kontrolle sind für sie, übertragen gesehen, ein ihre „Not wendender“ Fensterrahmen. Ein Rahmen kann bisweilen „Not-wendigen“ Schutz vor unbegrenzter Verlorenheit im Raum geben, denn der Rahmen begrenzt und hält den unendlichen Raum, gleichzeitig bannt er durch die Trennung von Innen und Außen die Gefahr inneres und äußeres Erleben zu vermischen. Das Anliegen nach einer unbegrenzten, rahmenlosen Ausdehnung über das Bild hinaus kann von dem Wunsch nach Verschmelzung mit dem Gegenüber erzählen oder von dem Verlangen nach Grenzenlosigkeit dominiert sein. Der Rahmen hilft übermächtige Gefühle in Schranken zu halten und gibt Kontrolle über sie. Ein passender Rahmen schützt das Bild, konzentriert unseren Blick und hebt es von der »profanen« Umgebung ab. So schrieb der französische Maler Nicolas Poussin an seinen Auftraggeber, dass dieser dem Bild einen Rahmen geben möge, „denn das braucht es, damit bei der Betrachtung all seiner Einzelheiten das Gesichtsfeld geschlossen bleibt und der Blick nicht darüber hinausgeht und von den benachbarten Objekten abgelenkt wird, die mit der Malerei eine bunte Mischung bilden und ihre Erscheinung verwirren.“[8]

Der Rahmen betont das Bild und bringt die Wertschätzung der gestalterischen Arbeit zum Ausdruck und bisweilen geht es darum, den richtigen oder idealen Rahmen für das besondere Ereignis zu finden.In dem Moment, in dem der Mensch sein Problem nach außen transformiert, schafft er einen neuen Bezugs-„Rahmen“. Der kreative Akt als Rahmen bewirkt Raum für seine Not und aktiviert seine Hoffnung, diese handhaben zu können.

„Diese Bilder aus unserem Inneren sind der Antrieb, der uns immer wieder dazu bringt aufzubrechen und neue, unbekannte Gebiete für uns zu entdecken.“[9] Damit der Mensch seine Lebensmöglichkeiten erweitern und weiterentwickeln kann, benötigt er den Mut, alte Rahmen zu verlassen, sie zu sprengen und ihre Grenzen zu überschreiten.

Marlene Paul  Kunst-/Gestaltungstherapeutin DAGTP

IMG_8999H.E. Barfus, genannt H. Paul: Objekt „Aufbruch“ (II)1987),40 x 50 cm, Gips, Holzrahmen, Federn, Muscheln, Naturmaterialien.

[2] José Ortega y Gasset: Meditation über den Rahmen. In: Helene Weyl (Hrsg.): José Ortega y Gasset. Über die Liebe. Stuttgart, München, 2002, S. 68. Die Erstveröffentlichung erschien 1933.[3] Gasset, S. 69.[4] Vgl. Ernst Kris: Die ästhetische Illusion. Frankfurt am Main, 1977, S.190[5] Gasset, S.69.[6] Gasset, S.69.[7] Gasset, S.69.[8] Vgl., Andrea von Hülsen-Esch: Der Rahmen im Rahmen der Buchmalerei. In: Hans Körner u. Karl Möseneder (Hrsg.): Format und Rahmen. Berlin 2008, S.9-40, hier S. 36, Anm. 33.[9] Bill Viola (1951) ist ein amerikanischer Video- und Installationskünstler